Revolution im Anzug

„Freiheit statt Angst 2013″: Alles sah aus wie immer, anders war nur der Anlass. Selten hätte es selbst für Erika Mustermann und Otto Normalbürger mehr Grund gegeben zu demonstrieren. Das taten sie natürlich nicht, weil besagtes Problemchen der Totalüberwachung noch kaum jemandem persönlich weh tut.

Stattdessen treffen sich also die üblichen Leute, diesmal mit ein paar lustigen Themen-Plakaten, aber auch damit: Mehrmals höre ich aus Lautsprechern laut und aggressiv die Ansage, dass die „Bullen sich verpissen sollen“.

Dazu erstens: Wir reden hier von einer Angelegenheit, von der alle betroffen sind, auch die Polizeibeamten, die nebenbei ebenfalls totalüberwachte Privatpersonen sind. Anstatt die Beamten mit „Bullen“ zu beleidigen, wäre eine einbindene Ansprache an die Polizisten deutlich konstruktiver.

Zweitens: Während die Geheimdienste und Regierungen der westlichen Staaten gerade den eigenen Bevölkerungen den Krieg erklären, hört man auf der dazu laufenden Demo den abgestandenen sinnlosen Geifer gegen „Bullen“ und für irgendeine „Revolution“.

Das eigentlich das ganze Volk angehende Thema wird somit von der seit Jahrzehnten tradierten Folklore okkupiert und dadurch gründlich entwertet. Wenn ich den üblichen Haufen aus der Sicht eines braven Offline-Bürgers sehe, fühle ich mich voll und ganz darin bestätigt, dass dieses Thema mich nicht betreffen kann. Ich sehe stattdessen Leute, die in ihrer antikapitalistischen Hüpfburg herumtollen wie eh und je. Souveräner kann man sich selbst nicht ins Knie schießen und die Sache sabotieren.

Und jetzt zu etwas anscheinend ganz anderem: Am Sonntag nach der Demo kochte bei Twitter plötzlich ein Mem hoch namens #anzuggate. Es ging um den Anzug; also die Bekleidung, die einige als Symbol des Kapitalismus entlarvt haben wollten, worüber sich andere lustig machten und so weiter, siehe diesen sehr treffenden Kommentar:

Was hat jetzt die Demo mit diesem Anzug-Gedöns zu tun? Man stelle sich folgendes Szenario vor: Einer der „sich verpissen sollenden Bullen“ hat Eltern, die ein mittelständisches Unternehmen führen. Dieses Unternehmen ist wie alle anderen auch akut von Wirtschaftsspionage durch NSA & Kollegen bedroht. Wäre es daher nicht viel reizvoller, die Polizisten darüber aufzuklären und ins Boot zu holen, anstatt sie mit dem musealen Anti-Repressions-Pathos abzuschrecken? Und wie viel wirksamer wäre eine solche Demo erst, wenn man nicht die ermüdenden Klassenkampf-Parolen des letzten Jahrhunderts wiederkäuen würde, sondern sachdienliche Ansagen zum Thema?

Genau. Ich fange gleich mal an damit: Zur nächsten „Freiheit statt Angst“ werde ich meinen Anzug aus dem Schrank holen und dazu ein gebügeltes Hemd tragen. Ich kokettiere sogar mit einer Krawatte (übrigens einst ein Symbol der französischen Revolution).

Sodann werde ich mich vorab mit Gleichgesinnten abstimmen, die sich auch entsprechend in Schale werfen wollen, so dass wir zusammen einen möglichst großen Anzugträger-Block innerhalb der Demo stellen. Dieser Anzugträger-Block wird nicht aus Leuten bestehen, die sich mittels Beamtenbeleidigung zu Revolutionären stilisieren, sondern die die anwesenden „Bullen“ sachlich darüber informieren, wie betroffen sie persönlich sind wie alle anderen auch.

Wenn Erika Mustermann und Otto Normalbürger in den Nachrichten Bilder von einer Demonstration sehen, bei der akkurat gekleidete Leute eine Sache vernünftig und verständlich vertreten: Das, liebe Leute, wäre wirklich mal revolutionär!

[flattr user=“bukowski“]

7 Gedanken zu „Revolution im Anzug

  1. Pingback: 7 Dinge über Freiheit statt Angst | BRASH Deutschland

  2. Bergfried, Alexander

    Hi,

    ich bin wirklich mal gespannt, wann der größte Spionagefall der Menschheit endlich auch hier in Deutschland ernst genommen wird.

    Man tut noch immer noch, als ob nie etwas gewesen wäre! Im Gegenteil, bei unseren Politikern scheint alles in bester Ordnung zu sein.

    Ich kann das ganze irgendwie nicht wikrlich nachvollziehen.

    Grüße

    Antworten
  3. Pingback: Akkurater Widerstand | bukowskigutentag

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