Street & Beef

Objektiv gesehen war deutlich über 99 Prozent der Berliner Bevölkerung gestern nicht bei der zweiten Objektiv-Gesehen-Lesung. Im Umkehrschluss waren aber subjektiv gesehen 60 Leute da. Nicht schlecht für einen Mittwochabend und eine in Sachen Lesungen völlig unterversorgte Stadt. Hier mein Beitrag zum Nachlesen für alle, die zu den über 99 Prozent zählen. Ach so: Sinn der Sache ist übrigens, dass alle Lesenden ihre Geschichte zum selben Bild (siehe Bild) vortragen. Jetzt aber:

Street & Beef

ObjektivGesehenUnd hier ein exklusiver Schnappschuss von der aktuellen Berliner Fashion Week. Die Show steht dieses Jahr unter dem spannenden Thema „Street & Beef“. Wie früher, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, als der Punk vom Mainstream okkupiert wurde, setzen die großen Modehäuser in der neuen Pre-Fall-Season ganz auf Street-Credibility. Der Trend der Saison geht zu straßenkampftauglicher Mode, inspiriert vom Look von Demonstranten und Polizisten. Hier ein Motiv der Houte-Couture-Show des Berliner Shooting-Creative-Labels Gentri & Friends.

Star-Model Pierre-Michel trägt das Prunkstück der neuen Kollektion: Absolutes Highlight ist der Helm. DAS IT-Accessoire der Saison. Dieses krasse Must-Have schützt vor Rain und beschützt vor allem das Haar-Styling vor urbanen Stressfaktoren wie Wind, Wetter oder Pflastersteinen, die schlimmen Haarspliss verursachen können. Und wir sehen Pierre-Michel mit konkret uniquen Teilen, die der Einsatzkleidung der Berliner Polizei nachempfunden sind: Also Street-Fighting-Wear mit hotten Action-Boots aus Fair-Trade getradetem Delphinleder, mit denen man unhippen Leuten nachhaltig wirksame CO2-Fußabdrücke verpassen kann.

Der neue Streetstyle ist ansonsten ebenso cool wie funktional; zum Beispiel mit vielen Taschen für urbane Abenteuer, unter anderem stylische Cargo-Bags, mit denen Pierre-Michel an jedem Bein einen doppelt entkoffeinierten Latte Macciato mit Rosenkohl-Flavour oder auch mal szeniges Pfefferspray im Cargo-Gepäck transportieren kann. Ein weiterer Hit der neuen Kollektion: Green-Tech-Schlagstöcke aus Carbon mit noch mal verbesserter biologischer Wirkformel.

Das zweite Model, Manfred, trägt ein fancy subversiv-ironisches Outfit von Primark, mit dem er sich vom üblichen Bling-Bling und Bla-Bla des Modebetriebs absetzen will – aber das natürlich im koketten Wissen, von diesem gleich wieder eingefangen zu werden. Der coole Clothing-Retailer Primark ist übrigens zum ersten Mal bei der Fashion-Week dabei und das gleich mit einer eigenen Sondershow im Gesamtwert von drei Euro fünfzig.

Beachtenswert aber ist die Performance. Auf den ersten Blick würde man meinen, die beiden Models hätten eben das Koks-Buffet entdeckt und wären entsprechend schnell auf den Beinen. Aber mit ihren flotten Moves ziehen Pierre-Michel und Manfred noch eine Meta-Ebene in die Fashion-Welt ein, bei der es um die kritische Reflexion des Mode-Business geht. Diese Meta-Ebene wird übrigens freundlich gesponsort von Mercedes-Benz und Lidl, dem netten Discounter.

Pierre-Michel jedenfalls hat eigens eine von Oberfashionkommissarin Heidi einstudierte Choreo am Start, mit der er Manfreds Demonstration gegen den Moderummel ebenfalls ironisch vereinnahmt und die Performance in ein scheinbar martialisches Einkriege-Spiel auf dem Cat-Walk überführt. Das gibt Szenenapplaus und gleich fliegen die ersten essbaren Schlüppis aus nachhaltigen Algenfasern auf den Laufsteig.

Während die Models ihre Moves demonstrieren, trifft sich das hochkarätige Publikum derweil am Ethno-Buffet, an dem Mineralwasser von den Fidji-Inseln gereicht wird. Beim Zeichnen der neuen Pre-Fall-Fummel dominieren trendy Gesprächsthemen wie Produktionsbedingungen in Bangladesh, die mit frechen Mimik-Designs mit naturnahen Betroffenheits-Andeutungen garniert werden.

Auch der textile Look der Promis ist interessant, wie man hier im Bild sehr schön nicht sehen kann: Die Celebs, Stars und Business-People tragen die passenden Kreationen zum neuen Brainfree-Style. Von den eigenen Chef-Praktikanten eigenhändig getrashte Outfits beherrschen die Szene – zum Beispiel aus drei Tage alten Gucci-Kostümen zusammengenähte T-Shirts mit Swarowski-Kristallen oder Prada-Handtaschen mit eigenhändig angedöngelten „Eat the rich“-Buttons.

Der musikalische Haupt-Act des Abends ist übrigens Xavier Naidoo, der die alte Polit-Bombast-Rock-Hymne von T-Rex covern wird: You won’t fool the children of the revolution. In diesem Sinne, gute Nacht!

Bildnachweis: © Gerd Danigel, DDR-Fotograf

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