Der krumme Deal des Jahrhunderts

Daten seien das Öl des 21. Jahrhunderts, hört man heute überall. Wirklich? Worin genau besteht eigentlich das Businessmodell der digitalbasierten Wirtschaft?

Unternehmen ernten Daten. Zum Teil arbeiten wir wissentlich und freiwillig zu, indem wir Kundenkarten, Social-Media-Portale und anderes nutzen. Zum größeren Teil aber zieht die digital-basierte Wirtschaft die Daten ohne unser Wissen oder Einverständnis ein. Cookies verfolgen unsere Wege im Netz, Apps lesen unsere Smartphones aus und so weiter.

Das ist ein eigenartiges Phänomen, für das es keine historische Blaupause gibt. Anscheinend werden wir nicht bestohlen. Es greift uns doch niemand in die Brieftasche. Trotzdem erwirtschaften insbesondere die globalen Big-Data-Companies enormen Profit. Wie aber kann die eine Seite eine so immense Wertschöpfung verbuchen, ohne der anderen entsprechende Verluste zu bescheren? Hier ein Lösungsvorschlag.

Es liegt ein Missverständnis vor. Daten mögen das Öl sein, das die algorithmischen Düsen von Big Data antreibt, aber durchstarten können die Unternehmen nur, weil sich ihnen ein unregulierter Himmel öffnet. Während Big Data in den 7. Rendite-Himmel abhebt, entsteht hier unten bei uns auf dem Boden der Tatsachen leider ein gravierender Kollateralschaden; nämlich die drastischen Verluste, die uns dieses Geschäftsmodells beschert.

Wir stehen im Moment vor dem Scherbenhaufen unserer Grundrechte, unserer Privatsphäre und unserer Freiheit. Sogar die Grundlage unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen, solidarischen Gemeinwesen geht zu Bruch.

Diese Begriffe klingen leider immer etwas verstaubt, von oben herab und abstrakt. Aber am aktuellen Fall „Generali“ lässt sich der Schaden für den Einzelnen wie für die Gesellschaft sehr anschaulich studieren. Als ausführlichen Text zum Thema „Überwachungskapitalismus“ empfehlen wir diesen Beitrag von Christopher Lauer im Tagesspiegel. Hier der Sachverhalt in Kurzform:

Europas größtes Versicherungsunternehmen Generali führt ein Bonus-System ein, das die Datenpreisgabe der Kunden belohnt. Insbesondere die „selftrackenden“ Optimierer sind als Zielgruppe ausgemacht. Sie leben vorbildlich gesund, ernähren sich gut, treiben viel Sport etc. Leiten die Optimierer ihr gesammeltes Datenmaterial an die Versicherung weiter, lässt diese ein paar Belohnungen springen.

Leider wird der Bonus für Optimierer zwangsläufig zum Malus für die anderen. Datenverweigerung ist schließlich verdächtig. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verbirgt sich dahinter ein nicht optimal gesund lebender Kunde, also ein potentielles Risiko für den Versicherer.

Das Solidarprinzip, in dem die Gesamtheit die Risiken des Einzelnen abdeckt, wird damit aufgehoben. Jeder, der an diesem üblen Spielchen teilnimmt, schadet der Allgemeinheit. Der Krankenversicherer gewinnt dabei die Kontrolle als repressiver Wächter, der uns mittels Zuckerbrot und Peitsche den für ihn profitabelsten Lebensstil aufzwingen kann.

Es geht also beim datengetriebenen Business im wahrsten Sinne des Wortes nicht mit rechten Dingen zu. Das Business basiert auf der Abwesenheit von Regelungen. Nur so ist der krumme Deal überhaupt möglich, der die Kassen der Wirtschaftet flutet und uns Menschen immer dümmer aus der Wäsche gucken lässt.

Nur weil es technisch möglich ist, uns alle total auszuleuchten, ist es aber nicht automatisch legitim. Kein Unternehmen hat ein verbrieftes Recht, ungebremst alles an Daten einzusammeln, was nicht bei drei auf den Bäumen sitzt. Ist es legal, dass Kaufhäuser die ID-Nummern von Apple-Geräten ihrer Kunden mitschneiden? Ja, solange es nicht verboten ist. Man muss Big Data nicht einmal Bösartigkeit unterstellen. Die neue, digitalbasierte Wirtschaft operiert einfach nur in einem rechtsfreien Raum und nutzt die sich bietenden Möglichkeiten.

Dieser rechtsfreie Raum muss dringend mit ausgleichenden Regeln gefüllt worden, bevor der globale Machtwechsel von unseren zumindest partiell noch rechtsstaatlichen Gesellschaften hin zu einem neuen Wirtschafts-Totalitarismus irreversibel vollzogen sein wird. Die totale Herrschaft der Wirtschaft ist nicht zu Unrecht seit Jahrzehnten die Standard-Dystopie der Science-Fiction. Unsere Welt befindet sich auf dem besten Weg, dieses Horrorszenario Realität werden zu lassen.

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