Datensalat

In Beiträgen und Diskussionen zur digitalen Krise und zum Zerfall unserer Grundrechte werden verschiedene Arten der Datenpreisgabe oft munter durcheinandergewürfelt. Das ist nicht hilfreich, um das Problem zu verstehen, geschweige denn etwas dagegen zu unternehmen. Eine Sortierung tut not, um sich nicht im aktuellen Datensalat zu verirren.

Grundsätzlich kann klar zwischen drei verschiedenen Typen der Datenpreisgabe unterschieden werden:

1. Unwissentlich und unfreiwillig

Die anlasslose Totalüberwachung von Geheimdiensten geschieht ohne Zustimmung und Wissen der Überwachten und ist mit den Grundrechten nicht vereinbar. Seit Snowden weiß man nur, dass jeder jederzeit überwacht werden kann.

Unsere Staaten und Regierungen sind leider nicht fähig oder/und nicht willens, etwas dagegen zu unternehmen. Im Gegenteil werden die Budgets aufgestockt. Diese Überwachung für sich wäre schon ein ausreichend schwerwiegendes Problem. Leider wird es noch komplizierter.

2. Wissentlich, aber unfreiwillig

Man weiß um das digitale Echo, das jeder Schritt in der analogen Welt heute auslöst, kann dem aber nicht entkommen. Zum Beispiel erweist es sich als ein nahezu unmögliches Unterfangen, eine Reise zu unternehmen, die von keinem Unternehmen oder Geheimdienst mitgeschnitten wird. Niemand kann sich Überwachungskameras entziehen und Smartphones sind unsere persönliche Allzweckwanzen.

Diese unfreiwillige Datenpreisgabe wird von Unternehmen monetarisiert und selbstverständlich auch von Diensten mitgeschnitten. Ebenfalls ein schwerwiegendes Problem, aber es kommt noch schlimmer.

3. Wissentlich und freiwillig

Es sind nicht mehr nur die relativ neuen globalen Player wie Amazon oder Google, die ihr Geschäftsmodell auf eine Datenbasis stellen. Im Zuge der totalen Verschmelzung von analoger und digitaler Sphäre entdeckt zunehmend die gute, alte Realwirtschaft die Vorteile des Datengeschäfts.

Aber schon in der alten, analogen Welt erweist sich der vermeintlich private Konsum tatsächlich als sozial relevanter und leider oft asozialer Akt. Wenn ein Mofafahrer die Luft mit unverbranntem Öl und Benzin aus seinem Zweitakter verpestet, schädigt er Gesundheit von Mitmenschen. Bekanntlich ist das völlig legal und die Kollateralschäden des privaten Konsums sind nicht eingepreist. Wären sie es, müsste unser Mofafahrer wohl eintausend Euro pro Kilometer an Schadensersatz bezahlen.

Der Mofafahrer ist natürlich ein plakatives unmittelbares Beispiel für private Vorteilsnahme (hier die günstige Mobilität) zu Lasten der Allgemeinheit (Schädigung anderer). Indirekt schädigt auch jeder Industriefleischverzehrer seine Mitmenschen wie die Umwelt (gefolterte Tiere, Antiobiotika-Resistenzen uvm.).

Dieser Systemfehler, auf dem unser Wirtschaftsmodell spätestens seit dem Beginn der industriellen Revolution basiert, wird heute in Zeiten der digitalen Vollvernetzung mit modernen Mitteln fortgeführt. Den Konsumenten werden immer mehr Angebote unterbreitet und Anreize geliefert, mit Daten zu bezahlen. Sie wissen, dass sie von den Unternehmen überwacht werden, und sie stimmen dem zu. Dieser Daten-Deal findet genau wie die Zweitaktverbrennung nicht im luftleeren Raum statt, sondern hat Auswirkungen auf Mitmenschen und die Gesellschaft. Ein anschauliches Beispiel liefern Versicherungen.

Zahlen Sie bar oder mit Daten?

Nehmen wir Auto- oder Krankenversicherungen, die ihr Geschäftsmodell auf die Datenbasis stellen. Je mehr man über den Kunden weiß, desto präziser kann man die eigenen Leistungen tarifieren. Im ersten Schritt bedeutet das: Kunden, die ihre Autofahrten oder ihren Gesundheitsstatus tracken lassen, erhalten Vergünstigungen. Akzeptiert die Masse der Bevölkerung dieses Modell, werden Versicherungen für alle anderen teurer, die bei Datenverweigerung zu Problemkandidaten werden, weil sie zum Beispiel für die Versicherung teure Lebensgewohnheiten verbergen könnten (riskanter Fahrstil, Zigaretten, Alkohol …). Wenn die einen, die sich tracken lassen, weniger zahlen, zahlen die anderen mehr. Denkbar wäre auch, dass Versicherungen zukünftig gar keine Kunden mehr ohne Tracking akzeptieren. Fazit: Die Summe privater Konsumentscheidungen wirken sich auf alle anderen Konsumenten aus.

„Wer nichts zu verbergen hat, …

Wenn sich der Großteil der Bevölkerung auf den Daten-Deal einlässt, sich die Masse der Menschen also freiwillig überwachen lässt, hat das Auswirkungen auf jeden, der sich dem System entziehen möchte. Wenn alle nach dem Zuckerberg-Prinzip „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ handeln, dann verkehrt sich das Prinzip für jeden, der sich dem entziehen will, ins Gegenteil: Wer seine Daten nicht preisgeben möchte, macht sich verdächtig. Sprich: „Wer etwas zu verbergen hat, muss wohl etwas zu befürchten haben.“

Und jetzt?

Wir hätten also die drei verschiedene Varianten der Datenpreisgabe sortiert. Was folgt daraus? Ganz einfach: Dass eine Lösung des Problems in noch weitere Ferne rückt. Nehmen wir das Beispiel Verschlüsselung.

Selbstverständlich sind Initiativen wie „Reset the Net“ zu begrüßen. Aber können Sie wirklich etwas bewirken? Wenn man hier mal eine E-Mail verschlüsselt, auf der anderen Seite aber täglich die Daten-Deals mit diversen Unternehmen akzeptiert und von zahlreichen anderen unfreiwillig getrackt wird, ist das ungefähr so wirksam, als würde man mit einem Fingerhut Wasser aus einem sinkenden Boot schippen, während man mit der anderen Hand eimerweise Wasser nachkippt.

Ein weiteres Beispiel für den Versuch zivilen Widerstands wäre die Vermeidung. Die beste Verschlüsselung von Daten erzielt man dann, wenn Daten gar nicht erst entstehen. Das ist beispielsweise bei einer Barzahlung der Fall. Man kann das machen, es bleibt aber ein eher homöopathischer Eingriff und die Nischen für rein analoge Transaktionen schwinden.

Eines von drei Lecks stopfen

Natürlich sind Verschlüsselung und andere Maßnahmen im Einzelfall und bei sensiblen Inhalten sinnvoll. Aber insgesamt gesehen bleibt es immer der Versuch, eines von drei Lecks in einem Boot zu stopfen. Denn der private Widerstand einzelner ändert nichts am Geschäftsmodell unserer Gesellschaft. Wenn alle ihre Daten freiwillig verkaufen dürfen und im Alltag immer öfter unfreiwillig hergeben müssen, dann braucht sich auch niemand mehr Sorgen um Überwachung zu machen. Die Überwachung gibt’s dann gratis und inklusive. Denn auf alles, was Unternehmen an Daten sammeln, können letzten Endes auch die Geheimdienste zugreifen.

Der Daten-Deal beginnt heute gerade erst seine Wirkung zu entfalten, wenn die Realwirtschaft flächendeckend auf das Datengeschäft umsteigt und bald jede Zahnbürste vernetzt sein wird. Mit dem oder einem Internet hat das alles nicht mehr viel zu tun. Es fehlt noch ein aktueller Begriff für unsere schöne, neue Welt.

 

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