Das Konsum-Dilemma

Ein persönlicher Navigationsversuch zwischen „wir kaufen uns eine weiße Weste“ oder „die Welt kaputt“: auf der Suche nach einem Mittelweg zwischen Öko-Bigotterie und Gleichgültigkeit.

Es ist ein leidiges Thema: „Du sollst korrekt konsumieren!“, heißt es überall. Zum Flugticket sollst Du einen gewissensberuhigenden CO2-Ausgleich dazubuchen. Mit dem Kasten Bier, den Du kaufst, sollst Du den Regenwald retten. Und Du sollst selbstverständlich keinen schweren Benzinfresser fahren, sondern immer fleißig fair, bio, öko und nachhaltig kaufen. Das permanente „Du! Du! Du!“ nervt.

Was „Deutschlands dümmster Teenager“ sagt

Eine junge Frau, kürzlich im Verblödungsfernsehen als Deutschlands dümmster Teenager vorgeführt, sagte in einem Interview: „Bio-Essen ist für mich Müll!“ Das ist nur auf den ersten Blick eine doofe Wortmeldung. Tatsächlich meinte die junge Frau damit natürlich nicht, dass sie Lebensmittel aus biologischer Herstellung für qualitativ minderwertiger hält als Nahrung aus konventioneller Produktion. Vielmehr, darf man annehmen, ging es ihr um die Abgrenzung gegen das ganze biologisch-ökologische Korrektheitskartell. Das ist nicht ganz unberechtigt.

Denn „bio“ und Konsorten dienen überwiegend eher der Gewissenskosmetik als der Weltverbesserung. In einem Bio-Laden wird nicht weniger mit Plastik-Verpackungen rumgemüllt als in einem konventionellen Supermarkt. Und eine Bio-Tomate aus China, für deren Transport hierher ein Literchen vom besonders umweltschädigenden Schiffsdiesel verbraucht wurde, dürfte locker als das SUV unter den Gemüsen durchgehen.

Tanken für die Umwelt?!

Ein bekanntes Beispiel bringt die Absurdität des modernen Ablasshandels auf den Punkt: Wegen der „Brent Spar“ boykottierten die Leute Shell und tankten stattdessen bei BP. Ein paar Jahre später havarierte die „Deepwater Horizon“. Jetzt boykottierten die Leute BP und tankten stattdessen bei Shell. Der Effekt: viel Aufmerksamkeit für das „Campaining“ von Greenpeace. Ansonsten wurde deswegen kein einziger Liter Benzin weniger getankt, aber als Autofahrer konnte man sich während des Tankens wie ein kleiner Umweltaktivist fühlen. Eine andere, aktuell sehr beliebte Methode: Mit dem Samsung-Smartphone einen Apple-kritischen Tweet absenden wegen der unmenschlichen Produktionsbedingungen bei Foxconn und dabei vergessen, dass das besagte Samsung-Smartphone nirgendwo anders hergestellt wird als bei Foxconn.

Wo permanent moralisches Verhalten eingefordert wird, regt sich allergischer Widerstand. Zum Beispiel beim Fleisch: Während man immer öfter ermahnt wird, doch bitte seinen Fleischkonsum zu mäßigen, erscheint eine Zeitschrift auf dem Markt, die sich ausschließlich dem hemmungslosen Steak- und Burgerverzehr widmet. „Beef“ erscheint wie ein ausgestreckter Mittelfinger gegen den moralischen Zeigefinger. Oder ein anderes Beispiel: Witze auf Kosten von Vegetariern oder gar Veganern zählen inzwischen zum klassischen Repertoire bei Twitter und Facebook. Und so weiter und so weiter und wie gesagt: Es ist ein leidiges Thema.

Aber ich habe, nach anfänglichen Umwegen, eine Privatlösung dafür gefunden. Doch dazu später mehr. Hier, fürs Protokoll, zunächst eine kurze Schilderung der Falle, in die ich prompt getappt war: In Gedanken bimmelte ich plötzlich die ganz große Glocke, wähnte mich extrem im Recht und hob meinen Appell an alle anderen, die noch nicht so weit waren wie ich, gleich mal auf das Niveau von Immanuel Kant. Hier zur Abschreckung der Nachweis meines kurzfristigen geistigen Getriebeschadens:

Mit Aufklärung ins Lager

„Worin, meinen Sie, liegt das Geschäftsmodell von Primark und kik? Günstige Bekleidung? Oder das von Amazon? Versandhandel? Oder von Nestlé? Lebensmittel? Irrtum. Das alles ist sekundär. Stattdessen teilen sich alle genannten und noch viele weitere Unternehmen ein und dasselbe primäre Geschäftsmodell; und zwar die Nutzung und Monetarisierung der Unmündigkeit der Verbraucher. Aufklärung tut also not. Fassen wir es einmal frei nach Immanuel Kant: Aufklärung ist der Ausgang des Verbrauchers aus seiner selbst verschuldeten Konsumunmündigkeit. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, weil der Verbraucher sich beim Konsum nicht seines Verstandes bedient.“

Eine ganz schön dicke Lippe, nicht wahr? Verlockend schien mir auch dieser Ansatz: „Alle Verbraucher zusammen wären die mächtigste Organisation der Welt. Alle Verbraucher einzeln sind das ohnmächtigste Stimmvieh der Welt. Man stelle sich dazu vor, es gäbe einen Verbraucher-Verband, dem Millionen Leute in Deutschland angehören. Dieser Verband definiert einen Konsum-Kodex. Auf die schwarze Liste kommen zum Beispiel Unternehmen mit Produkten aus unfairer, umweltschädigender oder sonstwie dem Gemeinwohl abträglicher Herstellung. Oder Konzerne, die ihren Vorständen obszön hohe Gehälter zahlen. Oder Firmen, die systematisch Kinder zu Zuckerjunkies erziehen. Oder Monopole, die ihre Marktmacht missbrauchen. Und so weiter und so weiter.“

Ein typischer Fall von „gut gemeint“, dessen Realisierung direkt in ein Horrorszenario münden würde. Es riecht nicht nur streng nach Gesinnungsterror, sondern zur Umsetzung dieser geschlossenen Verbraucherfraktion wäre tatsächlich eine sprichwörtliche Moraldiktatur nötig. Man wähnt sich schon so gut wie interniert in einem Konsumenten-Umerziehungslager. Also schnell wieder weg mit solchen Gedanken.

Trotzdem möchte ich auf der Flucht vor der überall lauernden Moralkeule meinen Verstand nicht komplett abschalten und in Gleichgültigkeit verfallen. Also begab ich mich auf die Suche und fand eine Nische jenseits von fair, bio, öko und nachhaltig, die ich mit sofortiger Wirkung für mich besetzt habe und in der ich mich bis auf weiteres wohl fühle. Ich möchte Ihnen von dieser Nische erzählen frei von jedem Appell. Es handelt sich um meine persönliche Lösung für das Dilemma des scheinbar aufgeklärten, aber tatsächlich bigotten Konsumenten. Oder im Gegenteil um einen Ausweg aus der Resignation. Schauen Sie selbst, ob Ihnen das zusagt oder nicht.

Jetzt mal ohne bio, öko, fair

Ins Auge gesprungen sind mir Unternehmen, die in Deutschland Gewinn erwirtschaften und keine oder so gut wie keine Steuern zahlen. Das ließ sich derzeit in allen überregionalen Medien nachlesen. Von einer Gegendarstellung seitens der genannten Unternehmen ist mir nichts bekannt, weswegen man hier wohl von einer Tatsache ausgehen darf. Zu besagten Unternehmen zählen Apple, Amazon, Google und Konsorten, aber auch deutsche Unternehmen wie Volkswagen, die Deutsche Bank und viele weitere. Die Faustregel lautet: Je größer und globaler der Konzern, desto weniger Steuern zahlt er. Das ist doch mal ein dankbares Thema für mich als Verbraucher: Weit und breit kein Moralgedöns ins Sicht, sondern knallharte Fakten ohne Interpretationsspielraum. Jeder Mensch, der oder die halbwegs bei klarem Verstand ist, muss diese Tatsache verurteilen.

Bekanntlich sind die Konstruktionen, mittels der sich die Unternehmen um Steuern drücken, legal. Aber sie sind nicht legitim. Denn die Steuergelder werden unserem Wirtschaftskreislauf entzogen und Staat, Ländern und Kommunen vorenthalten. Besagte Unternehmen nutzen die Möglichkeiten, die Kaufkraft und die Infrastruktur in Deutschland, um hier ein gutes Geschäft zu machen, ohne ihre Steuerschuld dafür zu begleichen. Ein Beispiel: Amazons Waren rollen auf Straßen. Wer baut und unterhält diese Straßen? Richtig, der Steuerzahler. Also Sie und ich. Aber nicht Amazon. Das Unternehmen nutznießt nur. Das ist schlicht und ergreifend asozial. Man darf besagte Unternehmen nicht Betrüger nennen, denn der Betrug ist leider legal. Das aber auch nur, weil die nationalen Steuergesetzgebungen und deren Exekutierbarkeit den Gestaltungsmöglichkeiten der globalen Konzerne weit hinterher hinken.

Die dicke Hose der globalen Konzerne

Die Süddeutsche Zeitung berichtete kürzlich über einen Beitrag des Google Aufsichtsratschefs Eric Schmidt in The Observer: „“In Zeiten, in denen die Familien den Gürtel enger schnallen müssen und die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen unter Druck gerät, ist die Unternehmenssteuer zu Recht ein heißes Thema.“ In Zeiten, in denen Profit zu einem „dreckigen Wort“ geworden sei, müsse man aber auch daran erinnern, dass viele Unternehmen ihren Gewinn in die Forschung stecken, wodurch neue Jobs und schließlich mehr Steuereinnahmen entstünden. Zugleich warnte er davor, die aktuelle Debatte um Google, Apple und Co. zum Anlass zu nehmen, weltweit die Steuern für Unternehmen zu erhöhen. Die „Versuchung“ der Politiker sei zwar groß, aber, drohte Schmidt, die Unternehmen würden dann nicht mehr in neue Jobs investieren können.“

Das lasse man sich einmal auf der Zunge zergehen: Ein Unternehmen, das aus seiner Steuerverweigerung keinen Hehl macht, warnt die Politik davor, Unternehmenssteuern zu erhöhen. So arrogant kann man wohl nur in dem sicheren Wissen reden, dass ein Nationalstaat, auch eine Bundesrepublik Deutschland, einem globalen Konzern wie Google komplett ohnmächtig gegenüber steht. Man stelle sich vor, Deutschland würde gegen Google in den Ring steigen: Man hätte einen klassischen Fall von David gegen Goliath, wobei es sich beim David in diesem Fall um eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt handelt. Oder man erinnere sich, dass die Drohung einer Bundesministerin, ihr Profil zu löschen, bei Facebook nicht einmal für ein mitleidiges Lächeln gesorgt hatte. Und wie reagieren die Leute auf solche asozialen und dazu noch arroganten Unternehmen? Sehen wir es mal aus der Sicht der Konzerne: Wäre ich Vorstand eines globalen Steuervermeidungskonzerns, würde ich mir jeden Tag feixend die Hände reiben und mein Mantra hieße: Meine Fresse, sind die Leute bescheuert! Mann kann jeden Tag in der Zeitung nachlesen, dass wir keine Steuern zahlen, aber anstatt dass die sich empören, kaufen die bei uns.

So weit, so unschön. Aber was geht mich das an? Ganz einfach: Die entgangenen Steuern fehlen mir. Ja, mir ganz persönlich und auch Ihnen. Sie werden nämlich meinem und Ihrem Gemeinwesen entzogen. Wenn bei mir um die Ecke Schwimmbäder schließen oder sich immer mehr Schlaglöcher in den Straßen auftun, dann auch deswegen, weil wir alle fleißig bei den großen, asozialen Unternehmen einkaufen. Mit jedem Kauf bei einem Anti-Steuer-Konzern kaufen wir kleinen Lemminge unser Land pleite. Möchte ich, dass auch in Zukunft die Feuerwehr kommt, wenn’s bei mir brennt? Dann sollte ich wohl mal überlegen, wer die Feuerwehr bezahlen muss und woher das Geld dafür kommt. Oder anders herum: Bin ich angestellt oder selbstständig und zahle Steuern? Apple zahlt keine Steuern. Finde ich das gerecht? Möchte ich Apple dafür noch unterstützen? Nein? Warum tue ich es dann? Weil Apple-Produkte so unverzichtbar geil sind? Echt jetzt? Finde ich nicht. Das heißt: nicht mehr. Kürzlich habe ich mir ein Fairphone bestellt, wofür ich mich von meinen Kumpels im Biergarten etwas verspotten lassen musste. Das geht aber in Ordnung. Mir reicht ein mittelmäßig geil performendes Smartphone völlig aus. Und keine Sorge: Ich stilisiere mich deswegen auch nicht zum Märtyrer, der zur Rettung der Welt auf ein paar Smartphone-Features verzichtet.

Der moderne „Idiotes“

Ein Produkt wie das Fairphone zieht seinen Sinn aus der Tatsache, dass ein Kauf nicht nur ein privater, sondern auch ein sozialer und politischer Akt ist. Er wird nur flächendeckend damit verwechselt, weil man in seiner Entscheidung ja frei ist. Wer aber die gesellschaftliche Komponente des Konsums ausblendet, ist im klassisch alt-griechischen Sinne des Wortes ein Idiot. Nämlich eine moderne Version des „Idiotes“, wie die alten Griechen Leute nannten, die sich aus dem gesellschaftlichen Leben heraushielten und sich nur um ihre Privatangelegenheiten kümmerten. „Aber Moment“, lautet jetzt der bekannte Einwand: „Ich allein kann doch nichts ausrichten. Ob ich jetzt ein Buch bei Amazon oder beim Buchladen um die Ecke bestelle ändert doch gar nichts.“ Wenn das so ist, warum gehe ich dann demnächst zur Bundestagswahl? Wenn meine einzelne Stimme nichts bewirkt, brauche ich mir doch nicht die Mühe zu machen.

Eine Million Euro zu vergeben

Ganz anders als beim Gang zur Wahlurne verhält es sich in Sachen Konsum. Hier gebe ich nicht alle vier Jahre mal meine Stimme ab, sondern jeden Tag gleich mehrmals. Alle meine Kaufentscheidungen zusammengenommen sind ein erheblicher Beitrag zum Zeitgeschehen. Ein Rechenbeispiel: Angenommen, im Laufe seines Lebens gibt ein durchschnittlicher Verbraucher in Deutschland eine Million Euro für Produkte und Dienstleistungen aus. Das ist eine Menge Geld. Meine ich immer noch, ich als einzelner Verbraucher hätte keinen Einfluss? Ich, der ich eine Million Euro zu vergeben habe? Rechnen Sie dann mal hoch, dass Millionen Menschen jeweils ihre Million mit Verstand anlegen. In dieser Größenordnung wird selbst ein globaler Konzern hellhörig. Jeder einzelne Kaufakt ist eine Stimmabgabe an der Wahlurne, durch die ich über den Lauf der Welt mitentscheide. Man ist frei in der Entscheidung. Aber man ist nicht frei in der Tatsache, dass die eigenen Kauf-Entscheidungen die Welt prägen – zum Guten oder zum Schlechten: Jeder hat die Wahl. Tag für Tag.

Jeder hat mehr Einfluss als die Regierung

Eine interessante Ironie dieser Geschichte: Wer nörgelt nicht gerne über die Unfähigkeit oder die Untätigkeit der Politik. Der Witz liegt aber darin, dass jeder einzelne Mensch mit einem durchschnittlichen Einkommen als Verbraucher über mehr Handlungsspielraum verfügt als die komplette Bundesregierung. Denn bevor die Regierung oder sogar die EU irgendetwas wirksames gegen die hoffnungslos überlegenen globalen Konzerne unternehmen kann, kann ich persönlich ab sofort dazu beitragen, den asozialen Unternehmen die Suppe zu versalzen. Dafür muss ich nicht mehr machen, also einmal kurz nachzudenken, wem ich mein Geld überantworte. Einfacher geht’s nicht.

Ich persönlich boykottiere jetzt alle Unternehmen, für deren Waren oder Dienstleistungen ich eine Rechnung aus Luxemburg, Irland oder von wo auch immer aus der Welt erhalte. Eine Rechnung aus einem dieser Länder klärt mich unmissverständlich über das Steuerverhalten des ausstellenden Unternehmens auf. Da brauche ich keine Akteneinsicht, um zu wissen, dass der mit meinem Umsatz erwirtschaftete Gewinn am deutschen Fiskus vorbeigeschleust wird. Also Schluss damit! Und bis jetzt habe ich seit Inkrafttreten meiner persönlichen Konsum-Strategie noch keine nennenswerten Beeinträchtigungen in Sachen Bequemlichkeit in Kauf nehmen müssen.

Mein persönliches Lieblings-meist-gehasstes-Unternehmen ist übrigens aktuell Amazon. In diesem Fall gönne ich mir das Vergnügen, das Angebot dieses Händlers etwas anders zu nutzen, als der es vorsieht: Ich informiere mich bei Amazon online über Bücher und lese Rezensionen, bestellen tue ich dann bei meinem Buchladen vor Ort oder ebenfalls online bei zum Beispiel libri.de (heute ebooks.de). Ansonsten lasse ich mich jetzt von der Devise leiten, so weit möglich die großen globalen Konzerne zu meiden und mein Geld so regional wie möglich anzulegen. Das fühlt sich erst mal gut an und weitere Maßnahmen behalte ich mir vor.

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9 Gedanken zu „Das Konsum-Dilemma

  1. seewolfDE

    Meine Rede – schon seit langem; und auch unser Einkaufverhalten. So regional wie möglich muß die Quelle sein.

    Aber es kommt nicht nur auf die Absenderadresse der Rechnung an. Schließlich könnte es sich um eine in D ansässige Konzerntochter handeln. Deren Gewinne aber im Ausland abgeschöpft werden.

    Also: auch keine CocaCola bei einem deutschen Händler kaufen, sondern gar keine…

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  2. German Psycho

    Ich glaube, auch das ist letztlich nicht der Weisheit letzter Schluß. Eines darf man ja nicht vergessen: Amazon bringt Deutschland eine Menge Arbeitsplätze. Gerade auch in Gegenden, in denen sonst nicht so viele Unternehmen angesiedelt sind.

    Und dann die Sache mit den internationalen Ketten: Glauben Sie, dem ausgebeuteten Arbeitnehmer in, sagen wir, Bangladesh bringt es etwas, wenn wir keine Kik-Produkte kaufen (nicht, daß ich JEMALS so einen Laden auch nur von innen gesehen hätte, aber egal)? Oder ist es nicht vielmehr so, daß selbst der Arbeitsplatz, der für uns unmenschlich erscheint, viel besser ist als Arbeitslosigkeit in einem Land ohne soziale Sicherungssysteme?

    Das Problem besteht doch darin: Es gibt eben keine einfachen Lösungen. Generell glaube ich ja auch, daß es eher sinnvoll ist, den Mittelstandt zu unterstützen (beispielsweise durch den Kauf aus der sympathischen Mittelstandsmanufaktur A. Lange & Söhne aus der ansonsten eher strukturschwachen Region Glashütte, aber, s.o., egal).

    Aber jegliche Regel, die man versucht aufzustellen, findet auch wieder genügend Gegenbeispiele. Und am Ende frage ich mich: Wenn ich in einer Stadt, in der es de facto keine Arbeitslosigkeit gibt, einen mittelständischen Buchhändler unterstütze, so daß der Konzern in einer strukturschwachen Region Arbeitsplätze abbaut, habe ich dann klug gehandelt?

    Ich will nicht behaupten, daß ich bessere Antworten habe. Denn die Probleme sehe ich ja genauso wie Sie.

    Vielleicht neige ich aber auch dazu, Dinge zu verkomplizieren.

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  3. bukowski Artikelautor

    @German Psycho Grundsätzlich denke ich auch, dass es keine simple Weltrettungsformel gibt. Die besagte Näherin in Bangladesh würde einen kik-/Primark-Boykott nicht begrüßen. Aber die Arbeitsplätze, die Amazon schafft, sind nicht neu, sondern ersetzen die dafür im Einzelhandel verloren gegangenen. Und über die Qualität der besagten Arbeitsplätze wurde viel berichtet in letzter Zeit. Also, der Weisheit letzter Schluss ist das hier sicher nicht, aber eine brauchbare Etappe, scheint mir.

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  5. GustavmitderHupe

    Mich hat der Text zum nachdenken gebracht: …keine Produkte mehr von Unternehmen, die Rechnungen aus Lux oder Irl verschicken – hmm, das ist fast ein bisschen drastisch-uneuropäisch, aber der Onkel Spock in mir findet das eine konsequente und logische Iteration der ‚Support Your Local Dealer‘-Bewegung.
    Ich zieh mit.

    Es gibt für mich ein weiteres Verhalten, das ich mir antrainiert habe. Und zwar an dem Punkt, an dem wir sehenden (und wissenden) Auges schonungslos verarscht werden; wenn nämlich versucht wird, uns belanglose Geschichten zu erzählen (und diese dann ausserdem bis zum Erbrechen wiederholt), um uns davon zu überzeugen, dass irgendein Produkt besser ist als das andere im Regal nebenan.
    Es ist doch so: richtig teure Werbung wird nur in oligopolistischen Märkten betrieben – ein paar wenige Großkonzerne buhlen um einen Haufen Kunden. Und alle versuchen sie, uns eine anheimelnde Geschichte zu erzählen, die mit dem Konsum ihres Produktes einhergeht. Wieviel besser man sich fühlt. Und schöner. Oder gemütlicher.

    Es gibt Produkte, bei denen über 25% vom Umsatz direkt wieder in Werbung gehen. Man bezahlt also durch Kauf diesen Nonsens, mit dem sie einen auf allen Kanälen zurotzen. Und vor den Nachrichten die Zeit rauben. Den man zu- oder wegklicken muss und dem man im Stadtbild nicht mehr entkommen kann, weil er einen von überall her anzappelt.
    Wenn ich also am Regal stehe und durch Konsum abstimmen soll, dann ist das erste, was vor meinem inneren Auge hochpoppt, der Kackwerbefilter.
    Ein Produkt, dessen Werbung mich in irgendeiner Art und Weise genervt hat, kauf‘ ich nicht.
    Wer auch immer Bohlen engagiert, bei dem kauf‘ ich nicht. Etcetera.

    Im Werbegeschwafel gibt es so ein Wort: Markenbildung. Sie inszenieren sich. Ich beweise Mündigkeit bei der Kommunikation: ich beurteile auch die Inszenierung.

    NB
    Es gibt so ein paar Produkte, da springe ich über meinen Schatten, aber das hat eher mit einer Monopolstellung der Anbieter zu tun.
    Nutella ist so ein Beispiel. Oder die 5er Klingen von Gilette. Oder Apérol. Das sind alles Produkte mit richtig beschissener Werbung aber für mich mit nicht zu substituierenden Merkmalen (…merke: wenn Fussballer mitmachen, ist die Geschichte fast immer unterirdisch), deren Marketingetat ich trotzdem durch Konsum bereichere.
    Aber nur mangels Alternativen.

    …und im Zweifel greife ich zu dem Produkt, an dessen Werbung ich mich nicht erinnere oder das von geographisch von näher herkommt.
    Ist eh fast alles das gleiche Zeug.

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  8. Jens Berg

    Ja, es ist ein Dilemma. Punkt.
    Aber wenn man Deinem Gedanken folgt, Steuervermeider zu boykottieren, dann sind wir wieder bei der oben propagierten und als Horrorszenario verworfenen Verbraucherfraktion. Warum? Weil – egal ob was oder bei wem bewusst einkaufen – nur dann funktioniert, wenn genügend Verbraucher mitmachen. Die letzte Massenbewegung, die effektiv was bewegt hat – und was jetzt wieder wegerodiert, waren die Arbeiterbewegungen des 20. Jahrhunderts. Und den Leuten ging es existentiell schlecht und frei von Agitation und Diktatur war das auch nicht. Oder die Frauenbewegung: Die läuft seit 100 Jahren und ist immer noch nicht an ihrem Ziel angekommen.
    Der Rückzug auf private Verhaltensänderungen ist mir zu eingleisig, weil zwar richtig aber zu wenig Erfolg versprechend. Genauso wichtig wäre, aktiv auf das politische System einzuwirken, damit dort die Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Aber hier wie dort hast Du das Mobilisierungs-Problem, denn wie sonst willst Du gegen Politiker in eingetretenen Pfaden und eigenen Interessen und den wohlgeschmierten Brüsseler Lobbyapparat anstinken?
    Das Dessen-Werbung-mich-nervt-kauf-ich-nicht-mehr-Prinzip von GustavmitderHupe praktiziere ich auch und vielleicht sollte mal ein Start-up diese Idee einer breiteren Masse per App zuträglich machen, aber wenn man das konsequent durchzieht, dann bleibt nicht mehr viel übrig:)

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  9. MJKW aka Magnus Wessel

    Tja. Etwas mehr Hintergrundwissen wäre schön gewesen, dann hätte sich das Ärgern über Bio und fair vermutlich schon erledigt. Blick in die Wikipedia würde mir schon reichen. Denn die Bigotterie einzelner Konsumentengruppen sagt nichts über die Sinn oder Unsinnigkeit des Produktes oder der Produktionsbedingungen aus. Aber der Steueransatz ist nett. Fehlt nur noch die Ergänzung wie beim fairphone: nicht nur das Produkt selbst ist das Thema. In der Problemkette ist es letztlich vermutlich zu vernachlässigen ob das Unternehmen in D Steuernzahlt, wenn die Zulieferer und Rohstoffproduzenten ebenfalls nix hierlassen. Da ich qua Überzeugung und Amt per se gegen das ausschließliche Abwälzen von Entscheidungen auf den Verbraucher und ins private bin, schreib ich zum Rest mal nix.

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